Gruppenausstellung, Wien/Österreich:
Tja, im Loop kommt man weiter. (Wiederholung III, Fortschritt)

Tja, im Loop kommt man weiter (Wiederholung III, Fortschritt)

Fortschrittsdenken und das menschliche Streben nach dem Besseren, Wahreren und Schöneren sind unmittelbar an die Neuheit und Einzigartigkeit von Produkten, Services und Ideen gekoppelt. Dem entgegengesetzt steht die Erkenntnis der vergangenen Jahrzehnte über nicht eingelöste gesellschaftliche Utopien. Diese widersprüchlichen Tendenzen führen in allen Lebensbereichen unweigerlich zum Innehalten, zu Anpassung und Neuorientierung – kurz, zum destabilisierenden Stillstand, der die Wahrnehmungskette zugunsten neuer Perspektiven unterbricht, um letztlich doch wieder von Vorne zu beginnen.

Ausgehend von der Idee eines Loops aus kommunikativen, medialen und gesellschaftlichen Zusammenhängen präsentiert die Ausstellung Tja, im Loop kommt man weiter. (Wiederholung III, Fortschritt) sieben künstlerische Positionen, mit denen die Idee der progressiven und linearen Weiterentwicklung mit iterativen Mitteln zur Diskussion gestellt wird. Aus in sich geschlossenen Kreisläufen extrahieren die KünstlerInnen einzelne Sequenzen der von ihnen verwendeten künstlerischen Materialen, um die Wahrnehmung von Gegensatzpaaren wie Original und Kopie, Hoch- und Populärkultur, Kunst und Kommerz als Wertesysteme zu problematisieren, innerhalb derer Kunst heute sowohl produziert als auch rezipiert wird. Die identitäts- bzw. sinnstiftende Funktion immergleicher Handlungsabläufe wird zugunsten einer Irritation aufgehoben, die es ermöglicht, neue Rezeptionsweisen zu erfahren und – trotz oder gerade wegen des permanenten Neubeginns – einen Schritt weiter zu gehen.

Die Wiederholung als zentrale Methode kultureller und künstlerischer Produktion dient den beteiligten KünstlerInnen als Ausgangspunkt, um, wie im Fall Lisa Rastls Videoperformance Zen for Doing, auf die Wahrnehmung performativer Kunst im historischen Zusammenhang abzuzielen. Das chronologisch dominierte System der bildenden Kunst nimmt auch das Künstlerduo Les Liens Invisibles mit Too Close to Duchamp’s Bicycle auf, indem sie sich einem Meilenstein konzeptueller Kunst buchstäblich wie im übertragenen Sinn annähern. Die Wiederaufnahme kuratorischer Praktiken im Kontext alternativer Kunstschauplätze sowie die daraus gewonnenen künstlerischen Präsentationsmodi stehen im Zentrum Michael Kargls zeichnerischer Raumintervention re:space/settings.

Weniger das Kunstsystem, sondern die ökonomischen Rahmenbedingungen, innerhalb derer Kunst heute produziert und rezipiert wird, thematisieren sowohl Wolfgang Lehrner mit dem Video Up&Down als auch Les Liens Invisible mit Fragile – ersteres bildet die Absurdität wirtschaftlicher Kreisläufe humorvoll ab, zweiteres transferiert die Idee des Readymades als kunsthistorische Instanz in ein zeitgenössisches “purchased ready-media”. Annja Krautgassers Musikvideo Rewind ist der Versuch, gelooptes Soundmaterial auf die sichtbare Ebene zu übertragen und die dahinter liegenden Tonstrukturen in Bilder an die Oberfläche zu transportieren. Dem sich aus der Wiederholung entwickelten Gedanken des Fortschritts nähert sich schließlich Birgit Knoechl mit out of control_growth IV an, indem sie den Prozess der Anpassung natürlicher Lebensformen thematisiert.

Lisa Rastl, Zen for Doing (2009)

Lisa Rastl
Zen for Doing (2009) | Video, Farbe, 8:30 min, geloopt

Zen for Doing ist ein Dokumentationsvideo, das Lisa Rastl bei ihrer Arbeit als kommerzielle Fotografin für die in Wien im Frühjahr 2009 präsentierte Ausstellung Nam June Paik. Music for all Senses im Museum Moderner Kunst Wien zeigt. Ihre schematische Arbeit besteht darin, dokumentarische Bilder einer von Nam June Paiks frühen Performances mit dem Titel Zen for Head (1963) zu reproduzieren: Farbabgleich, Lichteinstellung, Grauskala und weiße Handschuhe. Der Arbeitsfluss und die Reproduktionsschleife, in die die Fotografin unweigerlich eingebettet ist, werden lediglich durch das Klicken und Aufblitzen unterbrochen, wenn sich die Blende der Kamera öffnet und kurz darauf wieder schließt. Genau in diesem beiläufigen und bezugslosen Moment entsteht ein neues Kunstwerk, Dargestelltes und Darstellung scheinen in einer nichtkausalen Beziehung zueinander auf und das Medium der Fotografie öffnet sich “by doing” – in einem performativen Akt und durch die Interpretation durch seine BetrachterInnen.

Lisa Rastl (*1974, Mödling) lebt und arbeitet in Wien.

Wolfgang Lehrner, Up&Down (2009)

Wolfgang Lehrner
Up & Down (2008) | Video, Farbe, 0:10 min, geloopt

Ein durch und durch unspektakuläres wie gängiges Setting: der Eingangsbereich eines Bürogebäudes mit einem dezenten Fliesenboden, einem gläsernen Lift, einer großen grünen Pflanze neben der verschwindend kleinen Sitzgruppe sowie zwei parallel angeordneten Rolltreppen, die rechterhand in die oberen Stockwerke des Gebäudes und linkerhand wieder nach unten führen. Wolfgang Lehrners Videoloop Up & Down spielt in den Räumlichkeiten der Statistik Austria. Es handelt sich dabei um jene Anstalt des Bundes Österreich, die für die Erhebung, Sammlung, Analyse und Veröffentlichung amtlicher Statistiken zuständig ist. Die gegenläufige Bewegung der beiden Rolltreppen, die auf den ersten Blick kaum wahrnehmbar ist, führt die Szenerie ad absurdum. Die Statistik als Methode zur Umwandlung quantitativer in qualitative Informationen gerät durch den nüchternen aber nicht weniger humorvollen Kommentar des Künstlers ins Wanken. – Stillstand der Datenflüsse durch synchrone Aufwärts- wie Abwärtsbewegung oder verhinderter Fortschritt durch gleichzeitigen Rückschritt?

Wolfgang Lehrner (*1980, Wien) lebt und arbeitet in der Welt.
http://www.wolfganglehrner.com

Annja Krautgasser, Rewind (2000)

Annja Krautgasser
Rewind (2000) | Video, Farbe, 5 min, geloopt, Musik von Shabotinski

Ausgangsmaterial für Annja Krautgassers Video Rewind ist ein Musikstück mit dem Titel Rückenwind der Formation Shabotinski. Im Vergleich zu herkömmlichen Musikvideos, in denen sich die Bildebene über technologische Mittel wie etwa Schnitt oder Synchronisation als visueller Bestandteil der Musik präsentiert, erfolgt in der Arbeit Rewind eine fortlaufende (Re-)Interpretation des Bildes über die Musik. Krautgassers Ziel ist es, durch die visuelle Verdoppelung musikalischer Strukturen eine unauflösliche Symbiose zwischen Ton- und Bildmaterial zu erzeugen. So werden der Aufbau und die Struktur des Songs als lineare Bewegung dargestellt und akustische Störungen in Form von visuellen Unreinheiten wiedergegeben, um schließlich die vom Musikstück vorgegebene Zeitachse zu durchbrechen. Die semantische Verschiebung des deutschsprachigen Originaltitels Rückenwind in das Englische Rewind abstrahiert den Eindruck der Zeit- und Richtungsgebundenheit des Musik-Bild-Stücks einmal mehr.

Annja Krautgasser (*1971, Hall in Tirol) lebt und arbeitet in Wien.
http://www.annjakrautgasser.net

Birgit Knoechl, out of control_growth IV (2011)

Birgit Knoechl
out of control_growth IV (2011) | Rauminstallation, ca. 25 Module, Papier, Tusche, Nylon

Pflanzliche Lebensformen und die Lebendigkeit des Materials Papier paaren sich in Birgit Knoechls Kunstwerken zu Raum greifenden modularen Gebilden. Ausgehend von den Neophyten, Pflanzentypen, die sich permanent auf Wanderschaft befinden, arbeitet die Künstlerin mit diesen parasitären Pflanzen und den unberechenbaren Eigenschaften dieser invasiven Organismen. Sobald sie neue Gebiete erreicht haben, siedeln sie sich in diesen fremden Territorien an und vertreiben die dort ansässigen Gattungen. out of control_growth IV präsentiert Auszüge aus Knoechls Archiv an Blatt- und Blütenformen, sequenzierte, manipulierte und abstrahierte Samples, die immer wieder zu neuen Formen und Strukturen montiert werden. Die Idee von Wachstum wird in Knoechls Arbeiten gleich auf mehrfacher Ebene sichtbar: zum einen als Prozess natürlicher Vermehrung, zum anderen als die formal-ästhetische Prozedur des Wiederholens immergleicher Versatzstücke.

Birgit Knoechl (*1974, Wien) lebt und arbeitet in Wien.
http://www.knoechl.com

Les Liens Invisibles, Too Close to Duchamp’s Bicycle (2008)

Les Liens Invisibles
Too Close to Duchamp’s Bicycle (2008) | Video, Farbe, 2:14 min, geloopt

Die Speichen eines Fahrrad-Rades drehen sich einmal von links nach rechts, dann wieder in die gegenläufige Richtung, einmal schneller, dann wieder langsamer. Begleitet wird das Videobild von einem immer gleichbleibenden klappernden Geräusch eines sich in Bewegung befindlichen Fahrrades. Zusätzlich ist ein Klingelton zu hören, der das monotone Fahrgeräusch eher zufällig als systematisch immer wieder unterbricht. Das Video Too Close to Duchamp’s Bicycle von Les Liens Invisibles zeigt das vermeintliche Close-Up von Roue de Bicyclette (1913), Marcel Duchamps erstes Readymade, mit dem der Künstler eines der Schlüsselkonzepte der Kunst des 20. Jahrhunderts prägte. Ziel ihrer Arbeit ist es, zum einen die “poetische Nähe zu Duchamps konzeptueller Herangehensweise anzudeuten”, zum anderen aber auch auf die “Notwendigkeit aufmerksam zu machen, einen Weg aus genau diesem selbstgefälligen Manierismus zu finden, der vielen zeitgenössischen Kunstpraxen anhaftet.”

Les Liens Invisibles ist ein imaginäres Künstlerduo bestehend aus Clemente Pestelli und Gionatan Quintini.
http://www.lesliensinvisibles.org

Michael Kargl, re:space/settings (2011)

Michael Kargl
re:space/settings (2011) | Raumintervention, Bleistift auf Wand, Größe variabel

Als Einzelstück im Raum oder in Gruppen arrangiert, im Dialog mit einem oder mehreren Gegenüber, als ungeordnetes Durcheinander oder lineare Abfolge – die Hängung, Setzung und Stellung von Kunst im Ausstellungsraum ist eine herkömmliche Arbeitsmethode, um mit einer bestimmten Auswahl von Kunstwerken Narration zu erzeugen und dabei gleichzeitig die kuratorische Autorschaft zu unterstreichen. re:space/settings nimmt auf die historischen Praktiken institutionskritischer Kunst Bezug und führt sie in das aktuelle Kunstgeschehen so genannter “Off-Spaces” über. Indem Michael Kargl frühere Ausstellungen im selbstorganisierten Kunstschauplatz Glockengasse No.9 in Form von sich überlagernden Platzhalten re-aktualisiert und zur Schau stellt, wiederholt er aber nicht nur die unterschiedlichen Ausstellungsarchitekturen. Er führt darüber hinaus die oftmals in diesem alternativen Ausstellungskontext als experimentell ausgewiesenen Präsentationsmodi vor, um sie letztendlich als Durchschrift konventioneller Methoden auszuweisen.

Michael Kargl (*1975, Hall in Tirol) lebt und arbeitet in Wien.
http://michaelkargl.com

Les Liens Invisibles, Fragile (2010)

Les Liens Invisibles
Fragile (2010) | Video, Farbe, 2 min, geloopt

Als “purchased ready-media” bezeichnen Les Liens Invisibles das Video Fragile. Zu sehen ist ein Förderband, das in der industriellen Fertigung von Produkten verwendet wird, um diese während des Produktionszyklus von einem zum nächsten Fabrikationsschritt zu transportieren. Auf dem digital animierten Förderband befinden sich ebenso animierte Kartonkisten mit roten Markierungen, die in einer Endlosschleife an den BetrachterInnen vorbeiziehen. “Mit der Bezeichnung ‘purchased ready-media’ wollen wir hervorheben, dass es sich bei diesem Video nicht nur um reines Found footage aus dem Netz, sondern um Bildmaterial handelt, das von uns käuflich erworben wurde.” Das Video stammt von iStockphoto, einer Agentur für lizenzfreie Fotos, Grafiken, Videos und Audio-Dateien, auf deren Internet-Präsenz sich zahlreiche weitere Versionen des von Les Liens Invisible erstandenen Videos finden lassen: mehr oder weniger Kartonkisten, variierende Beschriftungen, unterschiedliche Geschwindigkeiten im Transport – allen verfügbaren Filmen das Potenzial zum Readymade innewohnend.

Les Liens Invisibles ist ein imaginäres Künstlerduo bestehend aus Clemente Pestelli und Gionatan Quintini.
http://www.lesliensinvisibles.org

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